Blogbeitrag von Verena Roßbacher
Ich habe eigentlich nie so ganz verstanden, was ein Literaturhaus ist.
Literaturhäuser, lese ich also brav nach, gibt es noch gar nicht lang, seit 1986 nämlich, da wurde das erste gegründet, in Berlin. Ein Literaturhaus ist eine Institution, die sich um die Vermittlung von Literatur der Gegenwart bemüht und den Diskurs über Literatur fördert. Alles klar.
Ich denke ein bisschen an Literaturhäuser. Manche Städte haben eins, manche haben keins, wieder andere haben drei. Von manchem Literaturhaus heißt es, es sei ein gutes Literaturhaus, von einem anderen sagt man, es sei zwar das Literaturhaus, aber eigentlich - also Stichwort: innere Werte - sei das Literaturhaus ganz woanders, an einem Veranstaltungsort, der zwar nicht Literaturhaus heiße, sozusagen äußerlich, aber den Job – den Literaturhaus-Job - einfach besser mache.
Ein Literaturhaus widmet sich also der Literatur. Ein Literaturhaus macht Lesungen. Ein Literaturhaus veranstaltet Symposien, es leitet Diskussionsabende, es kuratiert Ausstellungen; es gibt in einem Literaturhaus Themenschwerpunkte, es gibt Zeitgenössisches, es gibt Vergriffenes, es gibt Skandalöses, es gibt was für Kinder und was für Greise, was zwar nicht so heißt, aber nicht so fest aufregt, kurzum, ein Literaturhaus ist im besten Fall für alle da, ein Literaturhaus ist wie ein gutes Theater. Man geht hin, weil man dem Intendanten vertraut, dass er ein ordentliches Programm hinkriegt, es soll einen unterhalten, es soll einen bilden, was zum Lachen, was zum Heulen und manchmal möchte man hinterher nachdenklich durchs Herbstlaub nach Hause wuscheln oder einen kurzen, aber heftigen romantischen Moment haben, kurzum: Ganz großes Kino.
Es gibt eine Zielgruppe, die sich interessanterweise selten in Literaturhäusern blicken lässt, nämlich die Autoren. Autoren gehen nicht gerne in Literaturhäuser, weil sie nämlich nicht gerne auf Lesungen gehen, außer zu ihren eigenen. Wenn man Autoren fragt, was ein gutes Literaturhaus ausmacht, ein Literaturhaus, in das sie womöglich selber vielleicht einmal gehen würden, auch wenn sie nicht dafür bezahlt werden, dann sagen die Autoren: Ein Tischfußballtisch. Ein Tischfußballtisch ist eine feine Sache und trotzdem steht er in keinem Literaturhaus. Warum? Die Autoren verstehen das nicht.
Weiters: Billiges Bier, reichlich Essen, bequeme Sessel, eine Bibliothek, ein Garten wäre schön, aber nicht zwingend, guter Kaffee – man kann daraus lernen, der gemeine Autor hat schon genug Lesungen in seinem Leben (seine eigenen), er braucht nicht noch mehr, er braucht gar nicht mehr so viel echte Literatur, aber, vielleicht könnte man es so sagen, er mag den Hauch davon. Er mag gerne davon umgeben sein, ohne partizipieren zu müssen. Er hätte gerne einen gastfreundlichen Ort, wo er bei einer Tasse Tee in einem gemütlichen Ohrensessel vor dem Saal sitzen und dem Gemurmel des literarischen Symposiums im Saal lauschen kann und nachher eine Runde Tischfußball spielen. Womöglich hört er sich irgendwann doch mal was an, vielleicht setzt er sich irgendwann in eine Lesung, die nicht seine eigene ist und denkt sich: Herrlich, so ein Literaturhaus, wenns langweilig wird – und ziemlich sicher wird es langweilig – geh ich einfach flugs hinaus und flaniere im Garten (nicht zwingend), oder setz mich wieder in den Ohrensessel. Für einen Autor ist, kurzum, ein Literaturhaus eine Art klassischer, englischer Klub. Man ist Mitglied und kommt mal vorbei, wenn man grad in der Gegend ist, ist jederzeit willkommen, aber nie verpflichtet, und ab und zu ergibt sich ein nettes Gespräch oder ein Vortrag, den man nicht gänzlich dumm findet. Immer aber gibt es Bier und Tischfußball. Wir sehen also, ein Literaturhaus sollte ein ordentliches Programm haben und es steht und fällt aber mit den Details.
Ich würde sagen, zwischen diesen beiden Polen – den, tja, rein äußerlichen Werten der Autoren und den kultivierten, geistigen der übrigen Menschheit - bewegt sich ein Literaturhaus, von dem man sagt: Das ist ein gutes Literaturhaus.
Ich selbst war – um diesem für Autoren ein wenig niederschmetternden Resumée ein praktisches Beispiel anzufügen – neulich im künftigen Literaturhaus Vorarlbergs, in Hohenems, in der Villa Rosenthal. Es ist noch eine Baustelle, dennoch ist es wunderschön, und weil es schon jetzt, noch vor der Sanierung, so wunderschön ist, werden dort, bis zur eigentlichen Eröffnung in drei Jahren, schon Veranstaltungen stattfinden, zum Beispiel Lesungen. Neulich war ich also dort auf einer Lesung (meiner eigenen natürlich), und alles dort fand ich herrlich und so wunderschön (das Haus, der Garten, was sage ich, der Park, und man sieht es förmlich vor sich: hier würde ein Sessel sich prima einfügen und da ein Tischfußballtisch: passt also), dass ich dachte: Das wird vermutlich ein gutes Literaturhaus. Ich dachte das zuerst nur, aber dann gab es einen Moment – es war mein persönlicher Höhepunkt des Abends –, an dem ich es wusste.
Die Villa Rosenthal ist, ich erwähnte es, bislang noch eine Baustelle, eine schöne Baustelle, vielleicht die schönste, die ich kenne, aber eine Baustelle. Das bedeutet unter anderem, es gibt kein Licht, es gibt kein Wasser, es gibt keine Toilette. Zu diesem Behulf wurde eigens für diesen Abend ein Toilettenwagen angeschafft, mit eins a Toiletten. Es waren eins a Toiletten, hübsch, sauber, strahlend weiß, aber sie waren ohne Handtücher und ohne Klopapier. Ich kam von der hübschen Toilette im Toilettenwagen ohne Klopapier und ging zu Frauke Kühn. Frauke Kühn ist die Konzeptorin des künftigen Literaturhauses.
Frauke Kühn befand sich zu diesem Zeitpunkt mitten in einem Sturm, von dem sie mich möglichst wenig merken lassen wollte. Es war kurz vor der Lesung und es war kein Tontechniker in Sicht, kein Mikro, kein Verstärker, kein Licht, kein einziges verdammtes Stromkabel, der Tontechniker war, wie er am Telefon betroffen mitteilte, in Graz, der Tontechniker hatte diese Veranstaltung ganz einfach vergessen. In Graz. Nachdem sie sich über ihre Telefone kurz, aber erschüttert angeschwiegen hatten, meinte er zaghaft, er schicke ganz schnell einen Kollegen und der würde dann zaubern, „Und zaubern“, meinte Frauke Kühn hinterher im Restaurant, als der Kollege erfolgreich gezaubert hatte und es auch ansonsten ein höchst amüsanter Abend gewesen war, sei genau das Wort, das sie kurz vor einer Veranstaltung auf keinen Fall hören wolle.
Jedenfalls, man ahnt es, Frauke Kühns Nerven lagen womöglich blank, und als ich vom Toilettenwagen ohne Klopapier kam und sie fragte, ob ich ihr etwas Unerfreuliches mitteilen solle und sie sagte, nein, lieber nicht, und ich es ihr dann aber doch mitteilte, denn ich bin ein schwatzhafter Mensch, als ich also sagte, keine Handtücher, kein Klopapier, da sagte sie zuerst, oh nein. Wir schauten uns an. Wir dachten an das herbeiströmende Publikum, das sich gleich am billigen Bier laben und hinterher scharenweise in den Toilettenwagen eilen würde, sie würden auf den tollen Toiletten sitzen und da wäre kein Klopapier.
Verstehen Sie? Ein Tontechniker, der in Graz weilt, eine Toilette ohne Klopapier, das alles hat mit Literatur nicht das Geringste zu tun, es ist kein bisschen geistig, es ist sehr profan. Das Klopapier ist wie der Tischfußballtisch. Wenn sie nicht da sind, nützt das schönste Literaturhausprogramm nichts. Autoren wissen das. Autoren sagen zuerst: Tischfußballtisch, dann sagen sie Bier, und dann sagen sie Klopapier. Und dann fragen sie vielleicht – vielleicht -was steht auf dem Programm.
Wir verweilten noch kurz in diesem schicksalsträchtigen Blick, wir dachten an Graz, an den glücklichen Tontechniker, der weit, weit weg, in Graz nämlich, und dort irgendwie in einer glücklicheren Parallelwelt war, „Ich habe“, sagte Frauke Kühn dann langsam, „ein paar Rollen Klopapier dabei. Zur Sicherheit. Und ein Handtuch mit Ernie und Bert.“
Ich saß dann auf meiner eigenen Lesung in diesem herrlichen Haus, hinter mir dunkelte der Garten langsam ein, also der Park, neben mir saß meine kluge und charmante und insgesamt absolut umwerfende Lektorin Mona Leitner (denn das war eine Veranstaltungsreihe, die sogar Autoren interessiert, nämlich Kill your darlings, eine Art Livelektorat. Ich persönlich würde da hingehen, auch wenn ich nicht dafür bezahlt werde) und ich wusste plötzlich ganz glasklar und sehr, sehr zuversichtlich: Ernie, Bert und Klopapier. Das sind die Details, in die Autoren so verliebt sind. Dazu Tischfußball und billiges Bier und ein Programm, in das sie sogar selber gehen würden:
Also wenn das nicht ein verdammt gutes Literaturhaus wird, weiß ich auch nicht.