Quarantäne-Grüße aus Palermo

Palermo, Montag, 16. März 2020

Liebe Freunde in Vorarlberg,
gestern hab ich das Ländle verlassen und bin anstatt nach Finnland nach Palermo geflogen. In Finnland hätte ich mich im Auftrag von Dornbirn plus Feldkirch Hohenems Bregenzerwald mit Kulturmenschen aus ganz Europa getroffen, die gerne mal Kulturhauptstadtmacher werden wollten, es aber nicht schafften, oder es aber für die Zukunft probieren und von uns Nicht-Gewinnern gerne wissen wollen, was sie da wohl falsch gemacht haben. Wir hatten dann eine Videokonferenz. Auch die Kolleg*innen aus St. Pölten waren online. Die wissen eigentlich selber nicht, warum sie jetzt bei dieser Gruppe sind, denn sie haben ja nichts falsch gemacht. Irgendwie geht’s uns da allen gleich… :)

Das Glück hier in Palermo die Coronazeit auszuharren ist sicher das Wetter. Die Sonne scheint, es hat über 20 Grad, man setzt sich auf den Balkon und hört plötzlich von allen Balkonen aus Leute singen und schreien. Man denkt OK, jetzt werden doch alle zu Zombies und springen gleich vom 10ten Stock auf die Straße und rennen dann los, aber nein, es ist eine Whatsapp-Gruppe, die zum gemeinsamen Singen von den Balkonen aufgerufen hat. Nur blöd, dass sie sich nicht auf ein Lied einigen konnten. Morgen Mittag probieren sie es nochmals. Da ist es einfacher, jeder soll einfach klatschen.

Gestern wurden alle Geschäfte, Restaurants und Bars geschlossen und man darf nur noch mit einer gültigen Zirkulationsbescheinung auf die Straße, die man sich in Italien zum Glück selber ausstellen kann. Es gibt hier die sogenannte ‚autocertificazione’, als die Selbstbestätigung. Das gibt es hier schon solange es Behörden gibt. Da die Behörden hier nicht funktionieren und man nie den Zettel, den man grad braucht, irgendwo bekommt, kann man sich so eine Selbstbestätigung selber ausstellen. Zum Beispiel dass man da oder dort gemeldet ist oder den Führerschein der Klasse C hat, wenn man grad mit einem LKW unterwegs ist. Diese Selbstbestätigung gilt wie das Original, jede Behörde oder Polizist akzeptiert das, vor allem wenn es eine offizielle Selbstbestätigung ist. Damit diese Selbstbestätigung besser ausschaut gibt es nämlich eine eigene Behörde, das ‚ufficio di autocertificazione’, also das Amt für Selbstbestätigung. Da kann man dann sich auf einer schönen Vorlage alles selber bestätigen, dann klebt man eine Stempelmarke drauf und kriegt von der Behörde einen schönen Stempel und eine Unterschrift. Das fand ich in der Jugend wunderbar. Man kam zu einem Rendezvous mit einer offiziell bestätigten Selbstbestätigung, dass man in die Dame verliebt wäre. Das kam immer gut an. Jetzt kann man sich so eine schöne Vorlage im Internet herunterladen, ausfüllen und ausdrucken, warum man unbedingt auf der Straße herumlaufen muss. Wer ohne so eine Selbstbestätigung in den Supermarkt geht, wird wieder heim geschickt, man solle sich doch erst eine schöne Selbstbestätigung machen, dann können man ja wieder kommen, alles soll ja seine Ordnung haben. Ich habe mir eine solche Selbstbestätigung heruntergeladen und ausgefüllt, als Grund gab ich an die leeren Straßen filmen zu wollen, damit ich das meinen Freunden im Ländle zeigen kann, was sie ab nächste Woche erwartet, doch stand ich leider im Stau. Also ich muss das schon relativieren, für Palermo würde man das zähflüssigen Verkehr nennen, aus Ländlesicht wäre es ein Stau. Leider schaffte ich keine Bilder von Menschleeren Straßen zu schießen und fuhr wieder heim.

So rief ich meinen bayrischen Freund in Palermo an und fragte, wie es ihm ginge. ‚Scheena Schaas’, meinte er, alle Kneipen dicht, aber es wäre OK, er hätte genügend Bier zu Hause, ich solle doch vorbeikommen und als Nachsatz, ‚wenns die aufhoiten sogst du suachsd a Apothekhen’. Er wusste wohl nichts von meiner Selbstbestätigung, die ich nicht mal brauchte, keiner hielt mich auf. Schade.

Lange hielt ich es draußen aber eh nicht aus, denn ich hasse Schweißfüße. Die bekomme ich aber unweigerlich in meinen dicken Pelzstiefeln, die ich mir zusammen mit langen Unterhosen, Anorak, Fäustlingen und Rollkragenpullovern für Finnland und den prognostizierten -20° C eingepackt hatte. Ich hab mir jetzt mal Halbschuhe im Internet bestellt.

Für alle, die jetzt Urlaub in Italien machen wollen, hier ein Informationsvideo der WHO über die ‚autocertificazione’:

https://www.youtube.com/watch?v=Eke2GjOikRk

Die praktischen Hinweise sollte man sich aufmerksam anhören, da der Urlaub sicher länger wird, denn der letzte Bundesflieger ging heute von Rom über Venedig zurück nach Wien. Das österreichische Konsulat in Mailand rief mich heute an, falls ich doch zurück wolle, würde heute der Flieger gehen und ich könnte dann in Wien für 2 Wochen in Quarantäne. Da hätte wenigsten in meinen Pelzstiefeln nicht so geschwitzt, jetzt geh ich halt Barfuß auf den Balkon und beklatsche meine schöne ‚autocertificazione’.

Ach ja, daneben proben wir hier in Palermo gerade das digitale Zusammenspiel verschiedener Musiker*innen an verschiedenen Orten – am Ende erklingt die Musik an einem Ort hörbar, von überall her zusammengeschaltet. Das erinnert diejenigen, die das Bidbook von Dornbirn plus  gelesen haben an Opus Magnum Europaeum. Unser Orgelprojekt mit Rieger Orgeln aus ganz Europa, den Kompositionsauftrag an Alexander Moosbrugger und das Orgelkonzert auf dem Dornbirner Marktplatz. Ganz richtig… Ich berichte wieder!

Jürgen Weishäupl
Kurator und Künstlerischer Berater Dornbirn plus Feldkirch Hohenems Bregenzerwald
Lebt in Wien, Dornbirn und Palermo