Das Bödele - Felsenkeller Erinnerungen
Um den legendären Felsenkeller beim Berghof Fetz am Bödele ranken sich viele Geschichten. Aus den Ruinen des ersten, 1938 abgebrannten Alpenhotels am Bödele entstand in den 1960er-Jahren ein Tanzlokal, das sich unter Franz Fetz zur Kultbar entwickelte. Der Felsenkeller zog viele Nachtschwärmerinnen und Nachtschwärmer aus dem Rheintal an.
Jetzt hat jede*r Zeit, um in alten Erinnerungen und Fotos zu kramen. Wir wissen, dass viele von uns ganz persönliche Erinnerungen an den Felsenkeller, vormals Ruinenkeller, und im Volksmund Ruinierkeller, haben. In der derzeit geschlossenen Bödele-Ausstellung des Stadtmuseums haben wir dafür extra ein knallgelbes Buch aufgelegt. Um wenigstens dieses Projekt weiterführen zu können, danken wir der Initiative „Outburst of Culture“ sehr für die gute Idee und die Plattform. Das ist wirklich eine gute Nachricht in der angespannten Lage!
Wir sammeln im Rahmen der Ausstellung „Wem gehört das Bödele?“ Felsenkeller-Erinnerungen: kurze, lange, wilde, brave, absurde, schöne usw., um sie zu veröffentlichen. Wir freuen uns sehr, wenn Sie uns Ihre Geschichte an stadtmuseum@dornbirn.at mit einer Erlaubnis zur Veröffentlichung schicken.
Als kleine Anregung dürfen wir die abenteuerliche Geschichte von Willi Sohm, langjähriger Obmann des Rettungsheims Bödele, veröffentlichen.
Die Samariter - von Willi Sohm
Der Wintereinsatz der Rettungsabteilung Dornbirn am Bödele wurde bereits im Jahr 1946 in der Unterkunft der Meierei Oberlose wieder aufgenommen.
Es folgte der Beschluss, eine eigene Bergrettungsstelle am Bödele zu schaffen, um die verletzten Skifahrer besser betreuen zu können.
Ein kleines Häuflein von Kameraden begann mit harter Arbeit und einem unentwegten Opfermut im Frühjahr 1949 mit dem Bau der Bergrettungshütte – Rotkreuz Hütte - am unteren Lank. Am 9. Dezember 1950 war das Haus für den Dienstbetrieb fertig.
Nach der Eröffnung des Lankliftes am 28. Jänner 1951 stieg die Zahl der Wintersportler sprunghaft an und damit auch die Zahl der Unfälle. Die Anforderungen an die Mitglieder der Rettungsstelle wuchs ständig und es konnten die Dienste kaum mehr bewältigt werden, waren doch viele Kameraden aus den Wirren des Krieges nicht mehr nach Hause zurück gekommen. Die Frage des Nachwuchses blieb eine ständige Sorge.
Die Lösung fand sich in der Gründung der „Helfenden Jugend“. 22 Jungen im Alter von 16 bis 18 Jahren meldeten sich und wurden von erfahrenen Sanitätern in Theorie und Praxis ausgebildet. Sie waren begeistert vom Skisport und daher für den Dienst am Bödele bestens geeignet.
Von dieser in tiefer Kameradschaft verbundenen Gruppe erzählt nun die folgende Geschichte.
Mitte der 60er-Jahre wurde im Winter an jedem Samstag gemeinsam der Aufstieg zum Rettungsheim in Angriff genommen. Der Obmann der Rettungsabteilung – mein Onkel – war stets der erste im Heim und heizte den Warmluftofen und den Küchenherd, so dass wir ein wohlig gewärmtes Heim vorfanden. Gleich ließen wir uns vom Lanklift hochziehen und zogen unsere mehr oder minder gekonnten Spuren in den meist noch unbefahrenen Schnee, wobei sich spektakuläre Stürze nicht vermeiden ließen.
Am späten Nachmittag, zurück im Heim, holte jeder der alten und jungen Kameraden die mit gebrachten Jausen aus den Rucksäcken, breiteten sie auf den drei großen Tischen in der Stube aus und jeder konnte sich nun an diesem „Buffet“ bedienen. Selbstverständlich hatten die anderen, wie es immer ist, das bessere Essen dabei, an dem man sich gütlich tun konnte.
Am Abend klopften die älteren Semester einen Jass, sie spielten auf der Handorgel, der Gitarre, sie sangen die Lieder der Berge, sie erzählten Kriegs-erlebnisse oder überlegten sich Verbesserungen am Heim. Mein Onkel rührte stets am Abend den Riebel für das Frühstück am Sonntag ein, wobei jeder ein Stück Schmalz beizusteuern hatte.
Wir jungen – ich war der jüngste unter ihnen – machten uns auf den Weg in den „Ruinenkeller“ am Bödele. Wir hatten eine Verbindung zu diesem Lokal, waren doch viele Steine aus der Ruine des abgebrannten Bödelehotels in den Grundmauern des Rettungsheimes verbaut.
Es hatte am Nachmittag angefangen zu schneien und der Schneefall wurde zunehmend dichter als wir zum Bödele hinunter aufbrachen.
Der Keller war zu dieser Zeit ein kleiner Vorläufer der Diskotheken von heute. Man schwang das Tanzbein, an Tanzpartnerinnen war kein Mangel, man hörte die neuesten Schlager. Andere lauschten den geheimnisvollen Erzählungen des „Bürgermeisters“, der stets den Kopf mit einem schwarzen Hut, der mit einer breiten Krempe versehen war, bedeckte und einen dicken Wanderstab in Reichweite hatte. Er stammte aus Bregenz und hatte ein Häuschen auf der Seewarte. Auch der Wirt des Lokals hatte mit uns seine Freude, brachten wir doch immer einen richtigen Schwung in die „Bude“.
An diesem Abend gesellte sich wieder einmal der Abkömmling einer betuchten Dornbirner Familie unter die Gäste. Er war jünger als wir, fühlte sich aber ob des Reichtums seiner Eltern, den er stets lauthals hervorhob, uns allen überlegen. Dies zeigte er vor allem auch durch einen reichlichen Getränkekonsum, dessen Wirkung ihn zunehmend ausfallend werden ließ. Es stachelte ihn auf, dass wir ihn ignorierten, denn er suchte förmlich „Händel“. An diesem Abend hatte er sich allerdings mit dem Ochsenwirt vom Schwarzenberg den Falschen ausgesucht. Alsbald beklagte er eine blutende Nase und wurde vom Wirt vor die Türe gesetzt. Er hatte noch einen langen Heimweg in die Weißtanne vor sich. Dort hatte seine Familie ein Haus.
Kurz darauf brachen auch wir auf. Die Melodie von „Junge komme bald wieder“ von Fredy Quinn in den Ohren, traten wir aus dem Lärm in die Stille der Nacht.
Frau Holle meinte es gut. Unaufhörlich tanzten die Flocken dicht gedrängt hernieder, der Schnee war leicht und trocken, so wie ein Pulverschnee sein sollte. Wir entzündeten die mitgebrachten Petroleumlampen, schraubten den Docht höher, damit wir mehr Licht bekommen, aber der weiße Vorhang der fallenden Pracht schluckte das Licht.
Als wir das Lokal verließen, kehrte der Schneepflug, der die Straße bis zum Gasthaus geräumt hatte, wieder um. Er hatte es eilig, hinunter nach Schwarzenberg zu kommen, um dann gleich wieder bergwärts zu fahren, damit er die Straße für den Betrieb am Sonntag freihalten konnte. Wir hörten noch sein Rumpeln in der Ferne, aber der dichte Schneefall dämpfte das Geräusch und alsbald umgab uns wieder eine wunderbare Stille. Wir waren froh, die geräumte Straße benützen zu können, bevor wir auf der Höhe des Hauses Dr. Thurnher auf den beschwerlichen Weg zum Rettungsheim abschwenken mussten.
Die vom Schneepflug bei seinen Fahrten weggeräumte Schneemenge häufte sich wie Daunendecken meterhoch an beiden Straßenrändern.
Als wir gerade abzweigen wollten, rief der vorausgehende Kamerad: „He, do schouat a Hand usem Schnee.“ Schnell liefen alle nach vorne, hielten die Laternen in die angezeigte Richtung. Ihn ihrem fahlen Licht sah man eine Hand aus dem Schnee-haufen herausragen. Schnell gruben 16 Hände der Hand entlang, wir hielten die Laternen hoch, schon sah man die Zipfelmütze, den Kopf und die Kameraden zogen den Körper auf die Straße. Es wurde, wie wir es gelernt hatten, Puls und Atem geprüft – „er leabat no, ar schnufat“ – war die erlösende Nachricht.
Der unter dem Schnee begrabene war der aufmüpfige Geselle, der im Keller vor die Türe gesetzt wurde. Der Alkohol, den er zu sich genommen, wird wohl erst in der frischen Luft seine Wirkung entfaltet haben. Vielleicht ist er angesichts des Schneepflugs ausgewichen, gestrauchelt und geriet so unter den Schwall des vom Pflug verdrängten Pulverschnees, dessen Leichtigkeit und das schnelle Auffinden ihm sicher das Leben gerettet hatte.
Er hustete andauernd und nachdem der Älteste von uns versucht hatte, ihn mittels „Rautekgriff“ auf die Beine zu stellen, musste er sich übergeben. Ein vielfach geübter Druck zwischen Zwerchfell und Magen erleichterte ihn weiter. Unser Anführer entschied, den Verunfallten zum Bödeleverwalter zu bringen. Gleich stapfte einer mit der Laterne in der Hand durch den mittlerweile knietiefen Schnee zum Verwalterhaus und weckte den uns vertrauten Mann und seine Frau aus ihrem wohl tiefen Schlaf.
Wir zwei jungen gingen, in der Spur unseres Freundes, mit den Laternen Licht gebend, voraus und die anderen Kameraden trugen nun das Bürschchen zum Verwalterhaus am oberen Bödeleweg. Er wurde in die Stube neben dem geheizten Kachelofen auf das Kanapee gelegt. Nachdem er von seiner kalten Kleidung befreit war, untersuchten ihn die Kameraden nochmals, ob er womöglich Verletzungen erlitten hatte. Nachdem es keine Anzeichen dafür gab, überließen wir ihn in der Obhut des Verwalterpaares, die ihn in warme Decken hüllten und versprachen, auf ihn aufzupassen.
Wir aber stapften im Gänsemarsch, die Laternen in der Hand, auf dem oberen Bödeleweg durch den leichten, aber sehr tiefen Schnee unserem Heim entgegen. Ich ging als Letzter und für mich sah es mit den immer höher werdenden Schneemützen auf unseren Kapuzen aus, als schlurfe eine Mönchs-gemeinschaft, gebeugt in ihren Kutten, dem Stundengebet entgegen.
Jeder hatte mit sich zu tun, es fiel kein Wort, man wechselte sich immer mit dem Spuren ab. Bei mir stellte sich trotz Müdigkeit ein wohliges Glücksgefühl ein, ein wenig dazu beigetragen zu haben, dass ein so junges Menschenleben gerettet werden konnte.
Für mich war es auch eine Bestätigung, mit dem Beitritt zur Rettungsabteilung Dornbirn, die für mich richtige Entscheidung getroffen haben. Seit nunmehr über 60 Jahre fühle mich in der Kameradschaft dieses Vereines aufgehoben.
Willi Sohm, Sommer 2019