Kunstvermittlung im Herzen

... von Anabel Roque Rodríguez

Als Kuratorin und Kunsthistorikerin liegt mir die Präsentation und Vermittlung von Kunst sehr am Herzen. Ich glaube nicht daran, dass Kunst einfach auf den ersten Blick «verstanden» werden muss, ganz im Gegenteil, oft ist dies ein faules Bekenntnis die Kunst weiter in einem Elfenbeinturm zu halten, statt Dinge zu erklären ohne lehrerhaft alles zu zerreden. Kunst braucht Kontext und dafür benötigt man Kenntnisse, so erkennt man viel mehr Nuancen in den Werken. Im besten Fall schafft es eine gute Vermittlung neugierig zu machen, auf Fragestellungen hinter den Werken hinzuweisen und über Kontexte Verbindungen zu aktuellen Themen aufzuzeigen.

COVID-19 hat der Vermittlung auf einen Schlag mehr Aufmerksamkeit gewidmet, gerade in der Anfangszeit als Ausstellungen ausfallen mussten, konnte man an online Rundgängen, Diskussionen und Künstlergesprächen bequem online teilnehmen. Man hat gesehen wie viel Bedarf noch herrscht, Vermittlung ins Digitale zu holen, andere Länder wie die USA aber auch UK sind uns da weit voraus. Man muss aber auch ehrlich eingestehen, dass die digitale Vermittlung zwar eine äusserst wichtige Möglichkeit ist Wissen zu vermitteln und über Themen zu diskutieren, aber der interaktive Teil mit den Besuchern fehlt. Für mich ist jeder geführte Ausstellungsbesuch mit Gästen anders, man stellt sich auf das Publikum ein, merkt schnell ob die Besucher alte Hasen im Kunstbereich oder schüchtern das erste Mal Gast sind. In online Formaten fehlt es häufig das Publikum an ihrem Wissensstand abzuholen. Man müsste sich viel häufiger genauer anschauen, wer diese online Formate besucht und möglichst unterschiedliche Formate entwickeln, um verschiedene Teile seiner Besucher abzuholen. Denn eine Sache muss man verstehen, das Kunstpublikum ist kein Einheitliches und man würde gut daran tun, Kunstvermittlung so breit aufzustellen, dass unterschiedliche Teile der Bevölkerung zumindest Neugierde verspüren. So nimmt man Vermittlung wirklich ernst.

Ich arbeite in unterschiedlichen Formaten sowohl für klassische Museen und Projekträume als auch seit vielen Jahren für Kunstmessen. Messen unterscheiden sich für Kunstvermittler von anderen Kunsträumen, da es hier keinen klassischen roten Faden wie bei einer Ausstellung zu einem Thema gibt, sondern viel mehr Unterthemen und weit mehr einzelne Künstler besprochen werden. Es ist eine Kür sich für die Kunstvermittlung auf einer Messe vorzubereiten, da man selten sonst, so viele Künstler, Galeristen und Themen auf einmal hat. Kunstmessen sind ausserdem interessant, weil man auch wirtschaftliche Themen ansprechen kann. Der Kunstmarkt ist ein unglaublich spannendes Feld, das so stark von aktuellen Entwicklungen geprägt wird und mich immer noch täglich fasziniert.

Ich habe die Freude seit einigen Jahren als Kunstexpertin für die Art Bodensee zu arbeiten und geniesse die Sommermesse jedes Mal aufs Neue. Vorarlberg hat eine grosse Dichte an Künstlern und Sammlern und wird durch die Lage in der Vierländerregion von spannenden Besuchern ergänzt. Ich schätze die Treue der Galeristen und Künstler sowie der vielen Besucher sehr, man ist über die Jahre zu einem Kunstkreis zusammengewachsen, der sich stets freut zusammenzukommen. Es ist eine wirklich herzliche Atmosphäre. Als Kunstvermittlerin hatte ich so über viele Jahre die Möglichkeit zu sehen, wie sich Künstler thematisch weiterentwickeln und kann noch vertiefter über Künstler wie Galeristen sprechen. Umso trauriger ist es, dass die Messe dieses Jahr abgesagt werden musste – Sicherheit geht natürlich vor – daher hoffe ich umso mehr auf ein starkes 2021.

Springt man ein wenig über die Alpen, arbeite ich seit einigen Jahren als Kuratorin für die Artmuc in München und organisiere dort das Rahmenprogramm und bin für die VIPS verantwortlich, zudem bin ich seit diesem Jahr in der Jury und dadurch direkt an der Auswahl beteiligt. Das besondere an dieser Messe ist, dass es eine Produzentenmesse ist, sprich Künstler auch ohne Galerierepräsentation dort ausstellen können; es sind aber auch Galeristen und Kunstplattformen vor Ort. Die Messe feiert inzwischen ihr 10. Jubiläum und hat sich zu einem der grössten Kunstevents im Kunstkalender Süddeutschlands gemausert und bringt internationale wie auch regionale Kunst- und Kulturschaffende zusammen. Auch hier ging COVID-19 nicht spurlos vorbei, schweren Herzens musste die Frühjahrsausgabe abgesagt werden, die in diesem Jahr die internationalste Besetzung gehabt hätte und für die einige Knaller im Rahmenprogramm geplant waren. Nun wird gerade an der Herbstausgabe vom 22. - 25. Oktober und Vorab an der ARTMUC re:start vom 10.-13. September gearbeitet.
Die Absage im Frühjahr kann man dennoch nicht einfach auffangen, ich habe in der Zeit als ganz kleines Trostpflaster mit dem Messegründer Raiko Schwalbe die Artmuc Talks als online Format auf dem Youtube Kanal der Messe organisiert. Rausgekommen sind Diskussionen zu: Welche Dinge benötigt eine zukunftsfähige Kulturarbeit? Post-COVID-19 sollte auch ein Versuch sein über systemische Probleme zu sprechen. Wie sieht also die Lebensrealität von Akteuren aus der Kreativwirtschaft aus und vor allem wie gestalten wir die Zukunft? Artmuc Talks ist eine Art von Temperatur nehmen über Veränderungen, Wünsche und das Umdenken innerhalb des Arbeitsmarktes, der schon längst Privates und Politisches in einem Berufszweig zusammennimmt. Das sind Fragen, die uns alle noch einige Jahre weiter begleiten werden.

Anabel Roque Rodríguez lebt in Winterthur (CH) und ist abseits der Kunstwelt gerne auf Wanderwegen in den Bergen zu finden.