Rückblick 'Living Fabrics'
Von Nesa Gschwend:
In Living Fabrics steht die Erfahrung mit dem textilen Gestalten von Hand, sowie der Austausch während des gemeinsamen Arbeitens im Zentrum. Dabei werden nebst Kleidern und Stoffen auch handwerkliche Fähigkeiten und Geschichten weitergegeben. Etwa achtzig Personen nahmen an den vier Workshops in Dornbirn und Hittisau teil. Ein ausgerollter Teppich, ein paar Menschen, die gemeinsam etwas kreieren stellt auch heute ein universelles Bild von Gemeinschaft dar.
In Dornbirn richteten wir uns zusammen mit einer Schulklasse und einigen Frauen unter einem grossen Ahorn hinter dem Kulturhaus ein. Ein paar Buben versuchten in eine kleine Babyjacke zu schlüpfen, die sie anschlies-send zerschnitten und in der Gruppe aufteilten. Ein türkisches Mädchen wurde gefragt, ob sie nicht ein Lied singt. Erst scheu und dann mit grosser Freude sang sie mit ihrer wunderschönen Stimme einige türkische Lieder. Sie handeln alle von Liebe, meist traurige Liebe. Eine Frau erzählt von ihrer Mutter, deren ganzes Leben aus Handarbeit bestand. Für sie wäre das auch schwierig gewesen. Selbst die Jeans in der Pubertät wurden noch von der Mama genäht. Alle beteiligten sich mit viel Freude am Gestalten und Ausprobieren, in einer sehr friedlichen Stimmung, unter dem grossen Baum.
In Hittisau konnten wir uns im Frauenmuseum einrichten. Zwei Schulklassen mit Mädchen an der Grenze zum Erwachsenwerden, sowie einige Frauen aus der Schweiz, Deutschland und Österreich nahmen teil. Mit den Schülerinnen thematisierten wir auch den Herstellungsprozess von Textilien. Warum sind ihre T-Shirts so billig? Welche Reise haben sie hinter sich? Wieviel Zeit braucht es, um sie herzustellen? Zwei Mädchen unterhalten sich, dass sie seit Jahren nie mehr etwas genäht haben. Wieviel Arbeit hinter all den auch billigen Textilien steht, wird einem wieder bewusst, wenn man es mit den eigenen Händen erfährt. Am Nachmittag entstand eine weitere durchmischte Gemeinschaft von Frauen und Kindern. Flüchtlingsfrauen aus Syrien und Irak, Frauen aus Deutschland, der Schweiz und Österreich beteiligten sich. Durch Textilien kann man sich auch ohne verbale Sprache austauschen. Für die Flüchtlingsfrauen waren die Kontakte zu anderen Frauen wichtig. Mit wenigen Worten erzählten sie über ihre Sorgen um ihre Familien. Ein paar Textilien ist oft das einzige, was ihnen noch geblieben ist. Textilien sind nahe am Leben, eine universelle Sprache, die von allen verstanden wird. Eine Frau aus dem Bregenzerwald bringt einen Sack mit Kleidern. Zwanzig Jahre hat sie sie auf dem Dachboden aufbewahrt. Sie konnte die handgenähte Tracht, die einer Frau gehörte, die ihr sehr nahe war, nicht einfach entsorgen und doch hat sie sie nie getragen. Wir diskutieren darüber, ob man so etwas zerschneiden darf – kann? Der erste Schnitt fällt ihr schwer. Das Kleid wird in diesem Projekt wieder einen Platz bekommen und zu einem Memento mori für Ida (ihr Name ist darin eingeschrieben), aber auch für die anderen Frauen von ihrer Generation aus dem Bregenzer Wald. Ein syrisches Mädchen probierte das Jäcklein an, das zur Tracht gehörte. Es passt. Wir schenken es ihr. An beiden Orten ist ein reger Austausch entstanden. Ich werde nun im Atelier die entstandenen Teile weiterführen und sie im September nach Georgien und Delhi mitnehmen, wo der Faden von weiteren Beteiligten wieder aufgenommen wird. Danach werden sie zu Objekten verbunden, die in einem zeitaufwendigen Prozess nachträglich im Atelier entstehen. Teile werden ergänzt, miteinander in Bezug ge-setzt, zusammengefügt, die Fäden fixiert und versiegelt. Dieser Prozess verbindet die Artefakte miteinander und transformiert sie in eine zusammenhängende künstlerische Sprache.
Nesa Gschwend / Juli 2018